Unternehmenskultur ist ein Thema, das mich momentan sehr bewegt. Und damit bin ich nicht allein. Die vergangenen beiden Coronajahre haben sicherlich einen Anteil daran, dass weltweit viele Menschen bezüglich ihrer Arbeit ins Grübeln gekommen sind. In den USA beispielsweise gab es eine regelrechte Kündigungswelle, die diesmal jedoch von der Belegschaft ausging und nicht von den Unternehmen.
Die Menschen hatten während der Coronajahre Zeit zum Reflektieren: Will ich dem Job nachgehen, dem ich gerade nachgehe? Will ich für das Unternehmen arbeiten, für das ich gerade arbeite? Interessanterweise war es nicht die Ausstattung des Arbeitsplatzes, der Maschinenpark oder der Standort eines Unternehmens, der die Menschen zum Gehen bewegte. Es war die Basis, die Kultur des Unternehmens, die nicht mehr stimmte. Wenn die Kultur nicht stimmt, dann können die anderen Dinge noch so gut sein und werden das Schlimmste doch nicht verhindern können: den Zerfall des Unternehmens.
Den Zerfall in Form mangelnder Kreativität und Innovation. Den Zerfall in Form einer Kündigungswelle aus Kostengründen. Den Zerfall in Form einer ungewollten Mitarbeiterfluktuation. Den Zerfall in Form einer Rufschädigung. Den Zerfall in Form einer Zerschlagung.
Die Besten gehen zuerst
Jeder, der es sich leisten kann, und das sind in der Regel die Besten, verlassen in solchen Fällen früher oder später als erste das Unternehmen. Was wiederum enorme Kosten nach sich zieht, da diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch wieder ersetzt werden müssen.
Die Unternehmensberatung Deloitte hat in einer Analyse zur ungewollten Mitarbeiterfluktuation ermittelt, dass die durchschnittlichen Kosten für eine Nachbesetzung bei rund 14.900 Euro liegen. Pro Stelle wohlgemerkt. Das ist ziemlich viel Asche, wenn sich die Kündigungen häufen. Bei zehn ungewollten Kündigungen wären das 149.000 Euro. Laut Deloitte variieren die Kosten in Abhängigkeit der Unternehmensgröße. Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten müssen mit 13.705 Euro Gesamtkosten rechnen. Zwischen 100 und 1000 Beschäftigten sind es 13.852 Euro und ab 1000 Beschäftigten schlägt eine ungewollte Kündigung mit rund 17.159 Euro zu Buche.
Quereinsteiger verändert Unternehmenskultur bei IBM
Vor diesem Hintergrund möchte ich einen Mann porträtieren, der den blauen Riesen IBM aus einer der schwersten Krisen der Unternehmensgeschichte herausholte. Als Lou Gerstner im April 1993 als vielbelächelter Quereinsteiger seine Stelle als CEO bei IBM antrat, wusste er nicht, was das eigentliche Problem bei IBM war. Wenige Jahre vor seinem Antritt galt IBM noch als legendär. 1987 war IBM mit einem Börsenwert von 106 Milliarden Dollar das wertvollste börsennotierte Unternehmen der USA. Dem Unternehmen wurde der Slogan „Nobody gets fired for buying from IBM“ zugesprochen. Das galt sowohl für die Produkte des Unternehmens als auch für die Aktien. IBM war eine todsichere Sache in der Industrie und an der Börse.
Doch Anfang der 1990er-Jahre stürzte das Unternehmen in die schwerste Krise seiner Geschichte. Das Unternehmen verlor seine Kreativität und Innovation. Es kam so schlimm, dass John Akers, der damalige CEO, weder ein noch aus wusste und anfing, zehntausende Mitarbeitende zu entlassen, ein bis dahin völlig unbekanntes Phänomen bei IBM. Das Unternehmen geriet massiv in die roten Zahlen und eine Insolvenz stand kurz bevor. Um dem zu entgehen, breitete Akers die Zerschlagung des Unternehmens vor.
Mit Gerstner an der Spitze sollte jedoch alles anders kommen. Gleich zu Beginn traf er zwei weitreichende Entscheidung: Zum einen verhinderte er die Zerschlagung von IBM und zum anderen richtete er das Unternehmen konsequent auf das Service Geschäft aus. Nachfolgend betrachtet waren das die beiden leichtesten Dinge, die es zu erledigen galt, um das Unternehmen wieder in die Spur zu bringen. In seinem Buch „Who Says Elephants Can’t Dance?: Leading a Great Enterprise through Dramatic Change“ beschreibt er das eigentliche Problem des Unternehmens:
„If I could have chosen not to tackle the IBM culture head-on, I probably wouldn´t have… My bias coming in was toward strategy, analysis and measurement… In comparison, changing the attitude and behaviors of hundreds of thousends of people is very, very hard to accomplish… Yet I came to see, in my time at IBM, that culture isn´t just one aspect of the game, it is the game.“
Man muss in die Köpfe der Menschen
Lou Gerstner hatte das Glück der Unwissenheit, als er als Quereinsteiger bei IBM übernahm. Ihm wurde erst im Nachhinein bewusst, worauf er sich da eigentlich eingelassen hatte. Und hätte er es gewusst, so hätte er sich der Aufgabe wohlmöglich nicht angenommen. Gleichzeitig muss man ihm jedoch hoch anrechnen, dass er seine Entscheidung, IBM wieder auf die Beine zu helfen, durchgezogen hat. Die Kultur eines Unternehmens zu ändern ist sicherlich eine der schwierigsten Aufgaben einer Führungskraft. Man muss in die Köpfe der Menschen, um zu verstehen, was sie bewegt und wie man es schaffen kann, diese Beweggründe für sich zu nutzen. Eine Investition in eine Maschine zu tätigen ist im Vergleich dazu Kindergarten.
Gerstners Vorteil war, dass er an der Spitze des Unternehmens stand. Doch wie verklickert man einer Führungskraft, dass an der Basis des Unternehmens etwas gewaltig nicht stimmt, wenn man nur Mitarbeiterin oder Mitarbeiter ist? Ich denke, dass man auch hier, wie so oft im Leben, eine Entscheidung treffen muss. Ist es mir die Sache wert, dass ich mich aus der Deckung heraustraue und an die Führung reflektiere, was eigentlich gerade los ist? Oder ist es das nicht und ich ertrage es oder sehe zu, dass ich das Weite suche? Lou Gerstner war es die Sache wert, sodass er sich allein der eingesessenen Kultur von hunderttausenden von Beschäftigten stellte. Was sicherlich nicht leicht war, wenn man zunächst allein auf weiter Flur steht.
(Titelbild: S Migaj/Pexels)
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