„Mein Job wird abgeschafft und ich kann nichts dagegen tun.“ Mit diesen Worten eröffnet Christoph Keese, ehemaliger CEO der Axel Springer SE, sein Buch „Disrupt Yourself“. Er selbst hatte diesen Gedanken während einer Veranstaltung. Damals noch als Journalist, Vertreter einer alten Berufsbranche, wurde er mit einer Gruppe aufstrebender Blogger konfrontiert, die das Internet und ihre Community nutzten, um werthaltige Informationen zu Grenzkosten von nahezu null weltweit und verlagsunabhängig zu veröffentlichen.

Mittlerweile besitzen einzelne Personen eine Reichweite, von denen etablierte Verlage nur träumen können. Unnötig zu erwähnen, dass die Verlagslandschaft im selben Zuge rapide ausgedünnt wurde. Der Gedanke von Keese sollte sich für ihn persönlich bewahrheiten und ist heute für viele andere Menschen hochaktuell.

„Werde ich zukünftig eigentlich noch gebraucht?“ Diese Frage stellen sich heutzutage viele Menschen, und zwar zu Recht, wie ich finde. Zumal wir uns insbesondere in den westlichen Industriestaaten stark über unseren Job definieren. Gleichzeitig handelt es sich hierbei um eine grundlegende Existenzfrage, die nicht zwangsläufig durch die Digitalisierung der Arbeitswelt hervorgerufen werden muss. Wenngleich auch durch die medial verzerrte Berichterstattung der Eindruck entstehen kann, dass in erster Linie die Digitalisierung dafür verantwortlich ist.

Wie genau die zukünftige Arbeitswelt aussehen wird, das kann wohl keiner zu 100 Prozent sagen. Jedoch möchte ich die Ungewissheit an dieser Stelle nutzen und Sie zu einem kleinen gedanklichen Experiment einladen. Das Experiment basiert auf der Frage: „Was würde es für mich persönlich bedeuten, wenn der Wert meiner Tätigkeit auf null gesetzt wird?“

Ich möchte Sie dazu einladen, diese Frage für sich selbst durchzuspielen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie dabei eine Menge über sich selbst, Ihre aktuelle Tätigkeit und Ihre Zukunft lernen können. Wenn Sie Unternehmer sind, dann können Sie diese Frage auch auf Ihr aktuelles Geschäftsmodell anwenden. Und wer weiß, vielleicht stoßen Sie auf Antworten, die es wert sind, in der Praxis umgesetzt zu werden. Doch zuvor möchte ich ein Beispiel skizzieren, bei dem unterschiedliche Jobs und Geschäftsmodelle an Wertigkeit verloren haben, weil sich externe Marktteilnehmer die Frage nach dem Nutzen dieser Tätigkeiten bereits vor den Betroffenen gestellt und beantwortet haben.

Die Erodierung der elitären Verlagslandschaft

Eine Frau steht an einem Bücherregal in einer Buchhandlung.
(Bild: Skitterphoto/pexels)

1996 wurde in den USA ein Unternehmen gegründet, das zunächst den Versand von Büchern revolutionieren und anschließend die gesamte Verlagswelt auf den Kopf stellen sollte. Die Rede ist natürlich von Amazon. Als Jeff Bezos das Unternehmen gründete, ging es ihm in erster Linie darum, die Ineffizienz des Buchmarktes zu reduzieren. Er erkannte, dass der Kauf von Büchern keine physische Präsenz im Ladengeschäft voraussetzte. Mit diesem Gedanken positionierte er sich zwischen dem Endkunden und den damals unmittelbaren Lieferanten, den Buchhändlern. Dies hatte gravierende Auswirkungen auf den stationären Buchhandel, dem nach und nach immer mehr Umsatz flöten ging. Doch das war erst der Anfang. Bezos erkannte auch, ähnlich wie Christoph Keese, der plötzlich mit den Bloggern konfrontiert wurde, dass weit mehr Menschen gerne ein Buch veröffentlichen möchten, als es tatsächlich dürfen. Dadurch entstand die Idee, den elitären Verlagsstatus aufzuweichen, indem die Autoren ihre Werke im Selbstverlag veröffentlichen, mit attraktiven Margen (bis zu 70 Prozent an Tantiemen im Vergleich zu zehn Prozent bei einem herkömmlichen Verlag) und zu Grenzkosten von nahe null über Amazons Kindle Direct Publishing Plattform und damit ein Millionenpublikum weltweit erreichen können.

Diese Unternehmung hatte gravierende Auswirkungen für die Verlagslandschaft. Laut einer Untersuchung von authorearnings.com wurden 2016 in den USA 959.000 Bücher (Print) und 59.998.000 eBooks über Amazon veröffentlicht. 43 Prozent der veröffentlichten eBooks hatten keine ISBN und erzielten gleichzeitig 24 Prozent der Einnahmen. Im selben Zeitraum gaben US-Konsumenten 550 Millionen US-Dollar für eBooks ohne ISBN aus. Bowker, der weltweit größte Provider von bibliografischen Informationen, stellte fest: „Authors who set out to self-publish, market and distribute high-quality books now have more resources than ever.“ Mit anderen Worten: Es war noch nie so einfach wie heute, qualitativ hochwertige Bücher zu veröffentlichen, ohne dabei von den etablierten Verlagsstrukturen abhängig zu sein.

Vor diesem Hintergrund fusionierten in den letzten 20 Jahren immer mehr Verlagshäuser, von denen einige die gekauften Bücher sogar selbst von Amazon drucken und ausliefern lassen, um sich die Lagerhaltungskosten zu sparen. Jetzt könnte man natürlich den Kopf in den Sand stecken und den anderen Marktteilnehmern die Schuld für das zerstörte Geschäftsmodell und den Wegfall der damit verbundenen Jobs geben. Oder aber man entscheidet sich, aktiv zu werden und die eigene Tätigkeit bzw. das eigene Geschäftsmodell zu hinterfragen, indem man den Wert auf null setzt.

So gelang es dem Ebner Verlag, der sich ursprünglich auf die Zielgruppe „Feuerwehr und Rettung“ spezialisiert hatte, sich die Vorteile der Digitalisierung zu Nutze zu machen. Mittlerweile bespielt die Ebner Media Group 48 Newsletter, 44 Online-Portale, 158 Social-Media Accounts, 3.013 digitale Produkte, 4.722 Shop-Produkte, 19 Onlineshops und 86 Zeitschriften von 18 Standorten auf der Welt. Und das alles hochgradig gruppenspezifisch. Der Erfolgsfaktor: Die Verantwortlichen erkannten, dass zwar der Großteil der Jobs im traditionellen Verlagswesen wertetechnisch auf null gesetzt wird, dass die Fähigkeiten der Menschen sich jedoch auf die Möglichkeiten der Online-Welt übertragen lassen. Aus Brief wurde E-Mail, aus physischem Netzwerk wurde digitales Netzwerk, aus TV wurde YouTube, aus Radio wurde Podcast, aus Zeitung wurde Blog usw. Die grundlegenden journalistischen Fähigkeiten aus den traditionellen Medien sind auch bei den neuen Medien hoch im Kurs. Anstatt jedoch einen Briefbogen mit Inhalten zu gestalten, bearbeiten die Mitarbeiter von Ebner nun digitale Medien, wie z.B. einen Blog.

Redaktion und Lektorat durch künstliche Intelligenz

Eine Person sitzt am Schreibtisch und arbeitet am Laptop.
(Bild: StartupStockPhotos/pixabay)

Ich weiß nicht, ob Sie regelmäßig E-Mails in Englisch verfassen müssen. Wenn Sie jedoch einen professionellen Anspruch an Ihre E-Mails haben, dann kann ich Ihnen Grammarly wärmstens empfehlen. Bei Grammarly handelt es sich um ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Tool, das Ihnen dabei hilft, Ihre Grammatik und Rechtschreibung bei englischsprachiger Korrespondenz professionell zu verbessern, und zwar noch während des Schreibens. Neben dieser Hauptfunktion gibt Ihnen das Tool auch ein Feedback darüber, wie der Text wirkt, zum Beispiel freundlich, direkt, klar oder professionell. Darüber hinaus kommt das Tool weltweit tausendfach zum Einsatz und optimiert sich, dank Künstlicher Intelligenz, laufend weiter.

So weit, so gut. Doch gehen wir noch einen Schritt weiter. Angenommen, Sie verfassen einen Text, der klar und freundlich daher kommt. Sie hätten es jedoch lieber, wenn der Text zwar klar, aber eher hochgradig offiziell wird, da es sich um eine wichtige Business-Korrespondenz handelt, die einen offiziellen Ton erfordert.

Leider verfügen Sie jedoch nicht über den notwendigen Wortschatz, um den Text offiziell klingen zu lassen. Da das Tool weltweit von vielen Menschen genutzt wird, finden sich unter den Nutzern beispielsweise auch Geschäftsleute, die über den notwendigen Wortschatz verfügen und zudem offiziell formulieren können. Zukünftig könnte es also eine Funktion geben, mit deren Hilfe Ihr Text entsprechend des Anlasses automatisch umgeschrieben wird. Selbiges wäre auch für die Werke denkbar, die im Selbstverlag veröffentlicht werden. Bereits jetzt prüft die Amazon Kindle Direct Publishing Plattform die Werke auf potenzielle Rechtschreibfehler, wobei die Trefferquote immer weiter verbessert wird. Oder wie wäre es mit einer automatischen Übersetzung des Textes in eine Fremdsprache? Was uns zu der Frage führt, inwieweit die Tätigkeit von Übersetzern, Lektoren und Redakteuren zukünftig entwertet wird? Auf der anderen Seite könnten diese ihr Wissen und ihre Erfahrung in die Entwicklung eben solcher Tools einbringen und dabei gleichzeitig neue Fähigkeiten in den Bereichen KI, Algorithmus und Programmierung erwerben.

Die eigene Tätigkeit auf null setzen

Verstehen Sie mich bitte richtig. Ich bin ein großer Verfechter der Digitalisierung. Gleichzeitig müssen die betroffenen Personen, und letztlich sind wir alle betroffen, in die Lage versetzt werden, mit den anstehenden Veränderungen umzugehen. Natürlich kann ich Ihnen hier keine Allzweckwaffe anbieten, da der Bedarf von Person zu Person bzw. von Unternehmen zu Unternehmen ein hoch individueller ist. In diesem Zusammenhang bin ich jedoch der Meinung, dass zum einen die Personalverantwortlichen die Pflicht haben, ihre Mitarbeiter rechtzeitig auf die anstehenden Veränderungen sowohl hinzuweisen als auch Möglichkeiten anzubieten, diese aktiv mitgestalten zu können. Und zum anderen muss sich natürlich auch jeder einzelne von uns selbst mit der eigenen Zukunft beschäftigen.

Am besten geht das, wenn man sich aktivierende Fragen stellt, was mich zu der vorherigen Frage zurückführt: Was ergibt sich für mich persönlich, wenn der Wert meiner Tätigkeit auf null gesetzt wird? Nun, zunächst würde man arbeitslos werden. Und bevor Sie jetzt in Panik verfallen und das Gedankenexperiment frühzeitig abbrechen: Diese Antwort kratzt gerade mal an der Oberfläche. So richtig spannend wird es erst, wenn Sie sich die folgenden Fragen stellen: Welche Fähigkeiten habe ich, die sich auf andere Bereiche übertragen lassen? Welche Ressourcen habe ich, die ich aktivieren könnte? In welchem Bereich existiert eine Ineffizienz, die ich lösen könnte?

Ein Unternehmen kann sich übrigens dieselben Fragen stellen, wie das Beispiel des niedersächsischen Lattenrostherstellers Lattoflex zeigt. Und bevor Sie jetzt sagen: „Lattenroste, wie langweilig“, sollten Sie sich die Story von Lattoflex auf YouTube gönnen. Das Unternehmen hat den Wert seiner Produkte mehrfach auf null gesetzt, um etwas Neues zu entwickeln.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor in diesem Umstellungsprozess war die Einbindung von Menschen. Binden auch Sie andere Menschen in ihren Prozess ein. Kunden, Kollegen, Lieferanten oder sogar die Konkurrenz, wenn es sein muss. Je mehr Köpfe beteiligt sind, desto vollständiger wird das Bild. Setzen Sie anschließend alles um, was vielversprechend erscheint. Und denken Sie immer daran: Entweder Sie selbst machen sich Gedanken über Ihre Zukunft oder andere machen es für Sie. Letzteres könnte Ihnen möglicherweise nicht gefallen. Wie gewohnt stehen wir von der Digitalagentur Niedersachsen Ihnen in allen Fragen mit Rat und Tat zur Seite.

 

(Titelbild: Andrea Piacquadio/Pexels)