„Zeit für den digitalen Aufbruch“ – So lautet der Titel der neuesten Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammern. Ziel der regelmäßig durchgeführten Umfrage ist es, herauszufinden, wie sich die befragten Unternehmen (4.286) in Sachen Digitalisierung selbst einschätzen und was sie daran hindert, die Digitalisierung voranzutreiben.

Neben den altbekannten Herausforderungen wie Defizite in der Infrastruktur (29 Prozent), regulatorische Anforderungen (17 Prozent), mangelnde zeitliche (36 Prozent) und finanzielle (34 Prozent) Ressourcen und dem Fachkräftemangel (24 Prozent) fiel mir eine Aussage ganz besonders ins Auge. Mit großem Abstand von 66 Prozent sehen die Unternehmen das digitale Mindset ihrer Belegschaft als große Herausforderung.

Eigene Erfahrungen formen das menschliche Betriebssystem

Diese Aussage stimmt mich positiv für die Zukunft der deutschen Unternehmen und für Deutschland als Ganzes. Die Unternehmen haben ihre größte Aufgabe nämlich erkannt und machen sich auf den Weg, diese zu meistern. Gleichzeitig gehen damit jedoch einige Fragezeichen einher. Wir wissen heute, dass man so ziemlich alles digitalisieren kann. Oder wie es der Netscape-Erfinder Marc Adreessen einst ausgedrückt hat: „Software is eating the world.“ Seitdem ist dieser Satz zum inoffiziellen Motto der Digitalisierung geworden. Software für eine Anwendung zu schreiben, ist das eine. Doch wie kriegt man einen Menschen dazu, dass er sich der Digitalisierung öffnet und sein digitales Mindset entwickelt?

Glücklicherweise können wir auf jahrzehntelange Forschungsarbeiten zurückgreifen, um diese Frage zu beantworten. Wenn man sich mit der Neurowissenschaft beschäftigt, bekommt man den Eindruck, dass der Mensch einem Computer gar nicht so unähnlich ist. Ähnlich wie ein Computer hat auch der Mensch ein Betriebssystem, das ihn dazu veranlasst, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen. Der eine setzt beim Vermögensaufbau erfolgreich auf Immobilien, wohingegen ein anderer mit Immobilien nur Negatives verbindet, wie Mietnomaden oder Schimmel in der Wohnung.

Frau mit Locken und rotem Oberteil blickt nachdenklich nach oben.
Mensch und Computer sind sich gar nicht so unähnlich. Doch das Betriebssystem des Menschen umzuprogrammieren, ist gar nicht so leicht. (Bild: Pavel Danilyuk/Pexels)

Dieses Betriebssystem (Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster) bekommt der Menschen im Laufe seines Lebens, insbesondere im Kindes- und Jugendalter, sozusagen draufgespielt. Wenn man jemanden für etwas Neues öffnen möchte, muss man also an dieses Betriebssystem ran und es umprogrammieren. Die große Frage lautet jedoch: Wie? Denn einfach ein paar Zeilen Code schreiben, wie man es in der Softwareentwicklung macht, funktioniert beim Menschen nicht.

Mit Referenzen stützt sich die Meinung

Mein Coach, der die Angewohnheit hat, alles sehr bildhaft zu erklären, brachte mir die Quintessenz dieses Themas mit einem Tisch als Bild nah. Warum ein Mensch handelt, wie er handelt, lässt sich gut anhand eines Tisches erklären. Die Tischplatte stellt die Meinung in Bezug auf ein bestimmtes Ding oder eine Person dar. Diese Meinung bekommt der Mensch irgendwann aus seinem Umfeld mit. Das können ihm nahestehende Personen sein oder auch Medien, die er regelmäßig konsumiert.

Nachdem ihm die Meinung präsentiert wurde, werden ihm dazu passende Referenzerlebnisse gezeigt, die die Meinung unterstützen. Diese Referenzerlebnisse stellen die Tischbeine dar. Und je mehr Beine ein Tisch hat, desto stabiler steht er. Übertragen bedeutet das, je mehr Referenzen ich einer Person liefere, vielleicht sogar durch Erfahrungen, die sie selbst macht, desto stärker festigt sich die Meinung bei dieser Person. Natürlich können auch persönliche Erfahrungen zu einer bestimmten Meinung führen.

Greifen wir das Beispiel mit den Immobilien nochmal auf. Als meine Frau und ich 2018 unsere erste Immobilie kauften, da reagierten die meisten aus unserem engeren Umfeld erstaunlich negativ. „Habt ihr keine Angst vor Mietnomaden?“ „Die Preise sind doch so hoch, rechnet sich das überhaupt?“ „Mit Immobilien hat man nur Ärger und man muss sich ständig darum kümmern. Immobilien sind viel zu riskant.“ Solche und ähnliche Aussagen bekamen wir zu hören. Interessanterweise von Menschen, die selbst keine Immobilien besitzen. Wieso sie trotzdem von ihrer Meinung überzeugt waren? Weil sie ihnen von jemandem präsentiert und mit entsprechenden Referenzen versehen wurde.

Junges Paar, sie schwanger, vor ein paar Umzugskartons im soeben gekauften Haus.
Der Kauf und die Verwaltung von Immobilien ist bei manchen Menschen mit guten Erfahrungen, bei anderen mit Vorurteilen verknüpft. (Bild: Alena Darmel/Pexels)

Nehmen wir das Beispiel Mietnomaden. Die Vereinigung Haus und Grund schätzt, dass in Deutschland etwa 100.000 Mietnomaden existieren. Deutschland hat circa 83 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner (2020). Der Anteil der Mietnomaden an der Gesamtbevölkerung beträgt also 0,12 Prozent. Mit anderen Worten: Er ist verschwindend gering. Darüber hinaus würden Mietnomaden bei jeder sorgfältig durchgeführten Mieterselbstauskunft herausgesiebt werden. Und trotzdem wird das Thema in den Medien immer wieder hochgekocht.

Menschen müssen Erlebnisse selbst erfahren

Was können Unternehmen also tun, um ihre Beschäftigten für die Digitalisierung zu begeistern und das „Digital Mindset“ zu entwickeln? In einem ersten Schritt muss man herausfinden, wie die jeweilige Person zu dem Thema steht. Anschließend gilt es, herauszuarbeiten, warum sie so denkt und handelt, wie sie es tut. Mit diesem Vorgehen bekommt man sowohl die Tischplatte identifiziert als auch die Tischbeine. Nun gilt es, der Belegschaft eine neue Meinung zu präsentieren und diese mit Referenzerlebnissen zu festigen. Am stärksten und nachhaltigsten wirken die Referenzerlebnisse, die die Menschen am eigenen Leib erfahren.

Dieses von Erfolg gekrönte Vorgehen beobachte ich immer wieder bei den Unternehmen, mit denen wir von der Digitalagentur Niedersachsen zusammenarbeiten. Bekommt man damit alle sofort abgeholt? Nein. Aber wenn man sich reinhängt, dann gewinnt man so die meisten für die Digitalisierung. Und diejenigen, die gar nicht wollen? Nun, man kann nicht alle retten.

(Titelbild: Andrea Piacquadio/Pexels)