Vor ein paar Wochen habe ich an einem Audiokurs des ehemaligen Verhandlungsführers des FBI, Chris Voss, teilgenommen. Das Thema: Kompromisslos verhandeln. Voss ist der festen Überzeugung, dass es besser ist, einen Deal sein zu lassen, als einen Kompromiss einzugehen. Damit stemmt er sich gegen die weit verbreitete Win-Win-Managementlehre, die besagt, dass man Kompromisse eingehen muss, wenn man beide Verhandlungsseiten zufrieden stellen will.

Im ersten Moment widersprach mir dieser Ansatz, aber als Voss ihn weiter erläuterte und mit realen Beispielen aus seiner Karriere als FBI-Verhandlungsführer untermauerte, konnte er mich mehr und mehr für seine Sicht der Dinge gewinnen. Er könne sich bei seinen Verhandlungen schlichtweg keine Kompromisse leisten, erläuterte er. Bei seinen Verhandlungspartnern handelte es sich in der Regel nämlich um Terroristen, Entführer oder verzweifelte Menschen, die andere bedrohten.

Menschen mit Kommunikationsmethoden in bestimmte Richtung lenken

Polizist im Vordergrund beobachtet, wie im Hintergrund eine Person abgeführt wird.
Bei Entführungen und Geiselnahmen bleiben den Sicherheitsbehörden keine Spielräume für Kompromisse. Klare Kommunikation ist wichtig, damit keine Menschenleben gefährdet werden. (Bild: Rosemary Ketchum/Pexels)

Ich verstand, was er meinte. Einen Kompromiss wie „Ich lasse fünf der zehn Geiseln gehen und die anderen erschieße ich“ konnte Voss nicht eingehen. Er wollte und musste alle heil und gesund in Freiheit wissen. Aus diesem Grund musste er Kommunikationsmethoden entwickeln, die sein Gegenüber dazu veranlassten, das zu tun, was der Verhandlungsführer wollte. Und das gelang ihm dann auch.

Heute ist Voss in der freien Wirtschaft tätig und bezieht Tageshonorare von 25.000 US-Dollar. Spätestens hier hatte er mich dann. Wenn jemand solch ein Tageshonorar verlangen kann, dann muss das, was er zu sagen hat, Hand und Fuß haben. Meine zentrale Erkenntnis aus diesem Kurs war folgende: Voss stellte bei Verhandlungen immer wieder fest, dass die meisten Menschen nicht in der Lage waren, ihre Wünsche exakt zu artikulieren, wenn ihnen nicht die richtigen Fragen gestellt wurden. Die Welt teilte Steve Jobs nicht mit, dass sie einen iPod wollte. Er deckte die Bedürfnisse der Menschen mit gezielten Fragen auf, was ihm dabei half, Innovationen hervorzubringen.

Muss es denn ein Pferd sein?

Ein alter, roter Pick-up-Truck von Ford.
Benötigen Sie wirklich ein schnelleres Pferd oder wünschen Sie sich einfach nur eine angenehmere Art zu reisen? Mit gezielten Fragen gelingt es, Bedürfnisse zu ermitteln und Innovationen zu schaffen. (Bild: H R/Pexels)

Doch einfach nur zu fragen „Was wollt ihr?“ oder „Was braucht ihr?“ reicht nicht. Das wusste auch Henry Ford bereits: „Wenn Sie die Leute gefragt hätten, was sie wollten, hätten sie ‚schnellere Pferde’ gesagt.“ Man kann Pferde natürlich hochzüchten, doch irgendwann ist das Maximum erreicht und das Pferd wird unerschwinglich teuer. Also musste Ford erfragen, was das eigentliche Bedürfnis hinter dieser Antwort war. Und dies ging am besten, indem er gezielte, offene Wie- und Was-Fragen stellte. Solch ein Gespräch hätte wie folgt aussehen können:

Ford: „Wieso wünschen Sie sich ein schnelleres Pferd?“

Potenzieller Kunde: „Weil ein Pferd flexibler ist als die Eisenbahn und auch an entlegenen Orten operieren kann. Und ich möchte schneller reisen können.“

Ford: „Was gibt es noch an Aspekten, die Sie an einem Pferd schätzen?“

Potenzieller Kunde: „Es ist relativ günstig in der Anschaffung und auch das Futter ist günstig.“

Ford: „Was stört Sie an einem Pferd?“

Potenzieller Kunde: „Es ist recht pflegeintensiv. Man muss es täglich füttern und auch bewegen. Der Hufschmied muss regelmäßig vorbeischauen. Darüber hinaus kann sich das Tier auch verletzen, was dann sehr teuer wird. Bei einer ernsthaften Verletzung fällt das Tier für längere Zeit aus oder muss gar eingeschläfert werden. Und auch das Reisen ist nicht sonderlich komfortabel, wenn man nicht gerade eine Kutsche besitzt. Darüber hinaus müssen die Tiere bei einer längeren Strecke mehrfach Pause machen.“

Ford: „Wieso muss es dann zwingend ein Pferd sein?“

Potenzieller Kunde: „Ich weiß nicht? Gibt es denn noch etwas anderes?“

Nach solch einem Gespräch hätte Ford einiges an Informationen gewonnen. Ein paar weitere Gespräche später wüsste er, dass das keine einmalige Sicht der Dinge war. Und er wüsste, was sich die Menschen tatsächlich wünschten: Sie wollten komfortabel und schnell reisen. Dabei sollte das Gefährt erschwinglich im Preis sein und günstig im Unterhalt. Wenn es nicht gebraucht würde, dann sollte man es auch nicht füttern oder bewegen müssen. Und es sollte zuverlässig sein. Wenn es kaputt ginge, dann sollte man es reparieren können, und zwar so, dass die ursprüngliche Leistung wieder vollständig abrufbar wäre. Der Rest ist Geschichte.

Das ganze Leben ist eine Verhandlung

Die Grundmethode von Chris Voss und allen anderen Verhandlungsprofis besteht darin, Fragen zu stellen. Fragen, mit denen sie die Bedürfnisse ihres Gegenübers identifizieren und die sie gezielt einsetzen können, um ihr Gegenüber in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Voss betont, dass die Situation unser Problem sei. Unser Gegenüber sei unser Partner, mit dem wir zusammen das Problem lösten.

Und noch was: Das ganze Leben sei eine Verhandlung und es gewinne derjenige, der kompromisslos kommuniziere. Das gelte für die Entwicklung von Innovationen, für die Digitalisierung von Unternehmen und für die Führung von erfolgreichen Beziehungen.

(Titelbild: cottonbro/Pexels)