Nach wie vor stellt die Digitalisierung viele Organisationen vor eine Herausforderung. Allein der Fachkräftebedarf macht es vielen unmöglich, die digitale Transformation voranzutreiben. So hat der IT-Verband Bitkom ermittelt, dass allein im Jahr 2022 in Deutschland ein IT-Fachkräftebedarf in Höhe von 137.000 bestand. Auf der anderen Seite hat Dr. Andrew Russell (Nvidia) in einem Forschungsprojekt ermittelt, dass etwa 60 Prozent der Softwareentwicklungskosten ins Debugging von bestehender Software fließen. Der Rückschluss: Es braucht schon allein immer mehr Softwareentwickler, um die bestehende Software zu pflegen, an neue Apps ist gar nicht mehr zu denken.

Neben dem Fachkräftebedarf spielt auch die Finanzierung eine wichtige Rolle. Aktuell sitzt das Geld bei uns Deutschen jedoch nicht mehr so locker. So lag der GFK-Konsumklima-Index im August 2023 bei einem Indexwert von -24,6 Punkten. Und auch im September sollte es nicht besser aussehen. Die Prognose liegt bei -25,5 Punkten. Damit wäre er das 22. Mal in Folge negativ. Und das merken natürlich auch die Unternehmen in Form von stagnierenden oder sogar rückläufigen Umsätzen, was die Unternehmen hinsichtlich Investitionen in die Zukunft vorsichtiger werden lässt.

Auf der anderen Seite besteht ein enormer Digitalisierungsdruck. Die Kundinnen und Kunden wollen digital konsumieren, beispielsweise indem sie mittels ihres Smartphones einkaufen, Produkte bezahlen und ihre Päckchen nachverfolgen.

Anwendungen mit vorkonfigurierten Bausteinen designen

Ein Frau blickt auf ein Smartphone in ihren Händen.
Apps bestehen oft aus wiederkehrenden Elementen. Dies macht sich die Low-Code Technologie zu nutze. (Bild: picjumbo.com/Pexels)

Vor diesem Hintergrund kann die Low-Code-Technologie Unternehmen dabei helfen, den Weg in die Digitalisierung zu vereinfachen, und das ohne zusätzliche Fachkräfte und kostenintensive Software. Die Idee, die gar nicht mehr so neu ist, ist, dass man Software nicht mehr Zeile für Zeile schreibt, sondern bereits vorkonfigurierte Bausteine nutzt, um die Anwendungen mehr zu designen als zu schreiben. Es lässt sich gut mit einem Baukasten für Websites vergleichen. Im Kern bestehen nämlich auch Apps aus wiederkehrenden Elementen: Übersichten, Detailansichten, Buttons, Eingabefelder etc. Warum sie immer wieder einzeln programmieren, wenn man sie als vorkonfigurierte Elemente zur Verfügung stellen kann?

Der aktuelle Siegeszug hat wohl auch etwas mit dem griffigen Namen zu tun, den die Forrester Research Analysten Clay Richardson und John Rymer 2014 prägten. Als diese auf die hier beschriebene Entwicklung stießen, hatte das Kind noch keinen Namen, obwohl die Ansätze bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren verwendet wurden, um schnell Prototypen zu entwickeln.

Doch beim Prototyping ist es nicht geblieben. Das Marktforschungsinstitut Gartner schätzt, dass bis 2026 80 Prozent aller Apps mit Low-Code Technologie entwickelt werden. Die aktuelle Wachstumsprognose des Marktes für das Jahr 2023 beträgt 20 Prozent. Längst sind große Player wie Microsoft, Mendix (Siemens Tochter), Salesforce, ServiceNow und OutSystems auf den Trend aufgesprungen und vermarkten vehement ihre Lösungen. Damit ist Low-Code der ursprünglichen Idee, Citizen Developer zu befähigen, selbst ihre Apps zu schreiben, entwachsen. Low-Code ist nicht mehr „low“, sondern marktreif für die professionelle Softwareentwicklung.

„Neue Geschäftsfelder erschließen und Marktanteile gewinnen”

Für den Geschäftsführer von pattr, Dieter Lindauer, reicht das Potenzial von Low-Code jedoch weit über die Digitalisierung von Prozessen hinaus: „Mit Low-Code neue Geschäftsfelder erschließen und Marktanteile gewinnen“, darin sieht er die Chance für sein Unternehmen, um die Energiewirtschaft zu digitalisieren.

Die pattr GmbH ist eine 100prozentige Software-Tochter der Stadtwerke Neustadt am Rübenberge. Anfangs war die Idee, mit Hilfe von Low-Code die eigenen Prozesse schneller und preiswerter zu digitalisieren. Doch schnell erkannte das Team um Dieter Lindauer, dass die Prozesse und Services, die sie für ihre Konzernmutter entwickelten, auch für andere Stadtwerke und Kommunen wertvoll sind. Und so war der Schritt naheliegend, die entwickelten Apps auch anderen Versorgern anzubieten.

Mit diesem Vorgehen schlagen die Stadtwerke Neustadt am Rübenberge den Weg der großen Digitalkonzerne ein, die mit dem Geschäftsmodell des 21. Jahrhunderts bestens vertraut sind. Während das Geschäftsmodell der deutschen Industrie von hoher Kapitalbindung und niedrigen Margen geprägt ist, zeichnet sich das Geschäftsmodell der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley durch niedrige Kapitalbindung und hohe Margen aus. Das ist das Geschäftsmodell der digitalen Transformation im 21. Jahrhundert. Dies wird möglich, weil die Unternehmen drei Dinge miteinander kombinieren: Software, Hardware und Plattform. Letzteres lässt die beiden anderen skalieren. Software und Hardware lassen sich auch als Synonyme für Services und Produkte verstehen.

Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist wohl Apple. Das Unternehmen hat ein Betriebssystem (Software) für Smartphones entwickelt. Die selbst designten Smartphones (Hardware) lässt das Unternehmen günstig in Asien fertigen. Anstatt jedoch tausende Entwicklerinnen und Entwickler fest einzustellen, um all die Apps für die Endnutzerinnen und Endnutzer selbst zu entwickeln, hat das Unternehmen eine Plattform entwickelt, mit deren Hilfe externe Entwicklerinnen und Entwickler aus der ganzen Welt Apps entwickeln können, an deren Erlösen Apple über die iOS-Plattform mitverdient. Mit Hilfe der Low-Code Technologie ist dieses Vorgehen nun auch für Unternehmen möglich, die nicht zwangsweise über die notwendige Finanzkraft und Fachkräfte verfügen.

Interne Apps für Datenbank und Urlaubsplanung

Eine Frau und ein Mann sitzen am Tisch und blicken lächelnd auf einen Laptop.
Auch bei internen Prozessen können Unternehmen von der Low-Code Technologie profitieren, beispielsweise mit maßgeschneiderten Apps für Dienstplanung oder Datenbanken. (Bild: Gustavo Fring/Pexels)

Doch trotz der Vorteile, die die Low-Code Technologie mit sich bringt, ist es kein Selbstläufer, diese Technologie im Unternehmen zu etablieren. Diese Erfahrung machte ich am eigenen Leib, als ich die Verantwortlichen bei uns davon überzeugen wollte, eine Low-Code Plattform als strategische Entwicklungs-Plattform einzuführen, die alle anderen ersetzen könnte.

Ich wollte damals eine in die Jahre gekommene Anwendung neu auflegen und skizzierte meine Idee im ersten Anlauf als Management Summary auf einer DIN A4 Seite. Zurück kam ein Nein. Begründung: Kein Geld. Zu kompliziert. Keine Kapazitäten. Ich sollte meine Zeit nicht damit verschwenden. Ich dachte mir, dass man meine Idee einfach nicht ganz greifen konnte. Die Low-Code Technologie begegnet nämlich gerade den genannten Argumenten (kein Geld, zu kompliziert und so weiter). Also erweiterte ich mein Management Summary auf vier DIN A4 Seiten, auf denen ich die Argumente außer Kraft setzte. Aber auch diese vier DIN A4 Seiten verfehlten ihre Wirkung. Kein Entscheider liest sich vier Seiten Text durch, wenn er nicht von Anfang an von der Idee gepackt wird.

Beim dritten Anlauf machte ich alles anders. Anstatt noch mehr Seiten an Ausführungen zu den Vorteilen der Technologie vorzubringen, entwickelte ich mit ihrer Hilfe einen Prototyp. Anschließend führte ich diesen einigen ausgewählten Kolleginnen und Kollegen sowie unseren Entscheidern vor. Nach der Demonstration fiel die entscheidende Frage von einem der Betroffenen: „Wann können wir mit der neuen Lösung arbeiten?“ Dieses Vorgehen sollte seine Wirkung nicht verfehlen und der Rest ist Geschichte. Mittlerweile haben wir mit Hilfe von Low-Code zahlreiche Apps umgesetzt, beispielsweise für Dienstreiseanträge, Urlaubsanträge, Arbeitsplatzbuchung und eine komplexe Gutachtendatenbank.

Und die Zukunft lässt nicht lange auf sich warten. Aktuell sind zahlreiche Low-Code Anbieter dabei, KI-Anwendungen wie ChatGPT in ihre Plattformen zu integrieren. Die Idee ist, dass der Entwicklungsprozess sich damit weiter beschleunigen lässt. Bestes Beispiel hierfür ist der Copilot von Microsoft. Der auf einem generativen Sprachmodell basierende Assistent wird aktuell in den USA ausgerollt. Mit seiner Hilfe lassen sich beispielsweise Workflows in Power Automate gänzlich mit menschlicher Sprache erstellen. Man beschreibt lediglich das Endergebnis und den Rest macht der Computer.

(Titelbild: ready made/Pexels)

Über den Autor

Georg Redekop

Georg Redekop

Georg Redekop ist Wirtschaftsingenieur für Elektrotechnik und Experte für digitale Transformation. Mit seinen Impulsen setzt er sich aktiv dafür ein, Menschen für die Möglichkeiten der Digitalisierung zu begeistern. Dabei legt er besonderen Wert auf technologische Trends wie Low-Code und Künstliche Intelligenz sowie digitale Geschäftsmodelle und deren Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Sein Motto: „Lasst uns spielen, um zu gewinnen.“