Noch nie waren Informationen so leicht zugänglich wie heute. Etwas zu googeln ist längst eine Selbstverständlichkeit – bereits seit 2004 steht das Verb im Duden. Die große Abhängigkeit, in die wir uns damit begeben haben, ist den wenigsten bewusst. Damit sich daran etwas ändert, hat sich die Open Search Foundation gegründet. Prof. Dr. Alexander Decker zeigt uns, was sich dahinter verbirgt.

Wer schnell an Informationen kommen möchte, braucht meist nicht einmal mehr die Website einer Suchmaschine aufzurufen, um mit der Internetsuche zu beginnen: Einfach die Stichworte in den Browser eintippen – und schon liefert die voreingestellte Suchmaschine ein zufriedenstellendes Ergebnis. In Deutschland trägt diese in 94 Prozent der Internetsuchen den gleichen Namen: Google. Das US-amerikanische Unternehmen dominiert den Markt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit: Rund 68 Prozent der Desktop-Suchen finden über Google statt. Der ebenfalls in den USA ansässige Konkurrent Bing folgt mit vergleichsweise niedrigen 14 Prozent auf Platz zwei.

„Wenn wir uns die Suchmaschinenlandschaft auf der Welt ansehen, erkennen wir, dass es auf westlicher Seite eigentlich nur Google und Bing gibt. Im östlichen Teil der Welt haben wir das chinesische Baidu und in Russland Yandex. Sonst existieren nur noch kleine Player auf dem Markt. Ernstzunehmende Suchmaschinen, die in Europa beheimatet sind, gibt es quasi nicht“, erläutert Prof. Dr. Alexander Decker, Professor für Digitale Medien an der Technischen Hochschule Ingolstadt – und stellvertretender Vorsitzender der Open Search Foundation (OSF). „Wir sind in Europa mehr oder weniger abhängig von einem Anbieter. Insofern wollen wir für mehr Vielfalt sorgen,“ stellt er fest und fügt hinzu: „Hier liegt die erste große Aufgabe der Open Search Foundation: die Menschen über das Problem aufzuklären.“

Suchmaschinenmonopole? Viele sehen das Problem nicht

18 Jahre lang arbeitete Alexander Decker für unterschiedliche Wirtschaftsunternehmen, bis er 2012 seine Professur an der Technischen Hochschule Ingolstadt antrat. Über private Kontakte lernte er Dr. Stefan Voigt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt kennen, den heutigen Vorsitzenden der OSF. Voigt organisierte im November 2017 ein erstes großes Zusammentreffen, in dem sich die Gründungsidee der Initiative formte: die Netzwerkmonopole in der Suchmaschinenlandschaft aufzubrechen.

„Viele Menschen sehen das Problem gar nicht. Schließlich funktioniert Google doch sehr gut, wozu also Alternativen schaffen?“, sagt Decker. Dass die Konzentration auf wenige große Suchmaschinen Machtmissbrauch und Manipulation die Türen öffne, sei nur selten Thema in der Öffentlichkeit. „Wir wissen nicht, was mit unseren Daten passiert und wie die Algorithmen funktionieren. Die Suchmaschinen sind eine Blackbox, trotzdem nutzen wir sie tagtäglich“.

Sei das Problembewusstsein endlich da, warte schon die nächste Herausforderung: „Viele, denen wir unser Vorhaben erklären, lachen uns erstmal aus. Sie sagen: Wenn schon Microsoft mit Bing nicht gegen Google ankommt, wie sollen wir das denn schaffen?!“, sagt Decker schmunzelnd. „Doch wir haben da eine Idee, die vielversprechend ist.“

Die Gründer der Open Search Foundation stellen den Verein vor.
Problembewusstsein schaffen und Partner gewinnen – zwei wichtige Etappenziele der OSF. (Foto: OSF)

Verteiltes Crawlen und ein offener Suchindex

Der erste Teil dieser Idee: Verteiltes Crawlen. Was sich dahinter verbirgt? Damit eine Suchmaschine überhaupt etwas finden kann, braucht sie Informationen, in denen sie suchen kann. Dafür scannen automatisierte Programme – sogenannte Web-Crawler – Milliarden von Webseiten und deren Inhalte. Diese katalogisieren sie in einen spezifischen Suchindex, beispielsweise nach Stichworten und technischen Merkmalen. Auf diesem Index setzt die Suchmaschine auf.

Die Besonderheit der OSF erklärt Alexander Decker: „Beim verteilten Crawlen brauchen wir keine eigenen großen Serverparks. Unser Ansatz ist es, Kooperationspartner zu gewinnen und deren freie Kapazitäten in Rechenzentren für das Crawlen zu nutzen.“ Gemeinsam mit Wissenschaftlern vom CERN in der Schweiz, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, dem Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und verschiedenen Universitäten hat die OSF bereits viele Millionen Websites crawlen können – ohne den energieintensiven Neubau und Betrieb von eigenen großen Serverfarmen.

Der zweite Teil der Idee: eben keine eigene Suchmaschine aufbauen. „Es geht uns darum, einen neutralen, offenen Suchindex zu schaffen. Wir wollen also kein neues Google, sondern die Basis für eine Vielfalt an neuen Suchmaschinen legen“, sagt Decker und fügt hinzu: „Ziel ist es, eine sich ständig aktualisierende, offene und indizierte ‚Kopie des Internets‘ anzufertigen. Ähnlich wie beim GALILEO Projekt, dem ersten Satellitensystem unter demokratischer Kontrolle, möchten wir auch die Internetsuche aus den privaten Monopolen herauslösen.“

Wie bei Wikipedia soll der neue offene Index Möglichkeiten zur öffentlichen Moderation bieten. Wie das genau aussehen soll, darüber wird bei der OSF viel diskutiert. Auf dem Suchindex sollen dann neben einer allgemeinen Suchmaschine auch Institutionen, Unternehmen oder NGOs ihre eigenen spezifischen Suchmaschinen für unterschiedlichste Anwendungsfelder aufbauen können – und somit die Suchlandschaft bereichern.

Die Mitglieder der Open Search Foundation haben ein Meeting.
Viel Abstimmungsbedarf: Die Mitglieder müssen nicht nur technische und kommunikative Herausforderungen meistern, sondern auch viele rechtliche und ethische Fragen klären. (Foto: OSF)

Kooperation kennt kein Limit, wenn es um die Sache geht

Seit September 2018 ist die OSF ein eingetragener Verein. Zurzeit arbeiten fünfzehn ehrenamtliche Vereinsmitglieder sowie freie Unterstützer in den Arbeitsgruppen Technik, Awareness, Legal, Economy und Ethics an den Grundlagen für einen offenen Suchindex. Perspektivisch sollen einige Teilzeit- und Vollzeitstellen für die Kernaufgaben geschaffen werden – zurzeit fällt das Engagement für den Verein in die Freizeit der Mitglieder. „Unser Arbeitsschwerpunkt liegt momentan auf drei wesentlichen Bereichen: in der Organisation erster technischer Experimente, im Schaffen eines Problembewusstseins für das Thema und im Gewinnen neuer Kooperationspartner“, zählt Alexander Decker auf.

Kooperative Zusammenarbeit steht bei der OSF an oberster Stelle. Es geht allein um die Sache: „Wenn beispielsweise die EU oder eine noch zu gründende Stiftung sich dazu bereiterklären würden, das Projekt zu übernehmen und sich um die Umsetzung zu kümmern, wären wir vollkommen zufrieden. Dann ist unser Vereinsziel erfüllt. Wir sehen uns als Katalysator und Ideengeber, der alle Partner an einen Tisch bringt“, stellt Decker klar. Das Vorhaben der OSF ist ein europäisches – so sind auch immer mehr Expert*innen aus anderen europäischen Ländern in den Arbeitsgruppen beteiligt. Der Verein steht mit der EU-Kommission im Kontakt. Aber auch im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung sieht Decker einen starken Partner: „Herr Staatssekretär Muhle ist ein sehr offener Mensch, der auf viele unserer Ideen eingeht. Solche Persönlichkeiten brauchen wir, um uns in der digitalen Zukunft besser aufzustellen.“

Obwohl die Initiative ihren Sitz im bayerischen Starnberg hat, bestehen viele enge Verbindungen zu Niedersachsen. Mehrere Gründungsmitglieder der OSF kommen von hier; unter anderem Dr. Wolfgang Sander-Beuermann, der 15 Jahre lang im Verein SUMA e.V. in Zusammenarbeit mit der Leibniz Universität Hannover die Metasuchmaschine MetaGer betrieb – ein echter Experte auf dem Gebiet der Suchmaschinen. Doch auch in Bildungsinstitutionen wie der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW Ostfalia) findet die Initiative große Unterstützung: Prof. Dr. Nils Jensen, Professor für Informatik an der HAW Ostfalia, ist selbst Mitglied bei der OSF. „Niedersachsen hat den richtigen Spirit“, stellt Decker fest. „Andere Bundesländer könnten sich daran ein gutes Beispiel nehmen.“

Ein Zitat von Stefan Muhle zur Open Search Foundation.

(Foto Header: OSF)