Auch in den Life Sciences wird derzeit viel über Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz gesprochen. Wie dies in Forschung und Wirtschaft und auch im Sinne von Patientinnen und Patienten umgesetzt werden kann, darüber wurde beim diesjährigen Life Science Tag der BioRegioN im Werkhof in Hannover diskutiert. Der Programmpunkt „Innovation Stage“ wurde von der Digitalagentur Niedersachsen geleitet.
Beim Life Science Tag 2023, der Jahresveranstaltung von BioRegioN, die in diesem Jahr durch die Digitalagentur Niedersachsen, das L3S Research Center und das Branchennetzwerk Life Science Nord unterstützt wurde, standen die Themen Künstliche Intelligenz (KI), maschinelles Lernen und Data Science in den Life Sciences im Vordergrund. Dr. Yvonne Reinke von BioRegioN eröffnete die Veranstaltung und betonte in ihrer Begrüßung das immense Potenzial von KI für Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sowie ihre Rolle als Treiber des digitalen Wandels. Mit Blick auf die Life Sciences eröffne der Schulterschluss zwischen den Life Sciences und diesen Schlüsseltechnologien herausragende Möglichkeiten für Wissenschaft und Praxis, wie beispielsweise in der Diagnostik oder der Medikamentenentwicklung. Dr. Thomas Schulmeyer, Geschäftsführer des Innovationszentrums Niedersachsen (IZ), hob die Vielfalt des IZ mit Initiativen wie BioRegioN, der Digitalagentur Niedersachsen, EIP und startup.niedersachsen hervor, die in Kooperation ebenfalls einen Beitrag zur Verschmelzung von Life Science und Digitalisierung leisten könnten.
Möglichkeiten für Nutzung neuer Technologien in den Vordergrund stellen
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies ging in seinem Grußwort auf den Einfluss von KI im Alltag ein, beispielsweise durch ChatGPT. Es sei fatal zu sagen, dass man sich davor schützen müsse, so der Minister. Besser sei es, zu prüfen, wie man die Technologie für sich nutzen könne. „Wir dürfen uns nicht sperren, sonst gibt es keine Innovationen.“ Darüber hinaus betonte auch er die Potenziale, die sich für die Life Sciences durch die Kombination mit KI-Anwendungen ergeben, wie beispielsweise in der robotergestützten Chirurgie. Aber nicht nur in diesem Bereich. Seiner Ansicht nach müsse die Life-Science-Branche auch nach der Aufmerksamkeit während der Pandemie weiter und noch mehr in die Öffentlichkeit rücken.
Beim Impulsvortrag „Digitale Zwillinge in der Bioprozesstechnik“ von Prof. Sascha Beutel von der Leibniz Universität Hannover ging es anschließend in die wissenschaftliche Tiefe. Digitalisierung, Automatisierung und KI seien die derzeit dominierenden Themenfelder in Industrie, Forschung und Alltag und durch die biointelligente Produktion mit Digitalen Zwillingen ergebe sich eine große Chance für die Bereiche Bioprozesstechnik und Biotechnologie. Beim Digitalen Zwilling handele es sich um die digitale Repräsentation eines vollständigen Prozessablaufes zur Optimierung des realen Prozesses. Ein Vorteil sei, dass durch den Digitalen Zwilling viele reale Versuche eingespart werden könnten. Ziel sei die Biologisierung der Wirtschaft, beispielsweise bei der Herstellung von Treibstoff oder Medikamenten. Ein Fazit: Die digitale Transformation der Bioprozesstechnik ist in vollem Gange, von Industrie 4.0 sei man aber noch weit entfernt.
„Wir brauchen nicht noch mehr Regulierung“
Zum Podiumsgespräch begrüßte Moderator Dr. Johannes Winter vom L3S Research Center neben dem impulsgebenden Prof. Beutel Prof. Dr. Oscar Werner Reif von der Sartorius Stedim Biotech GmbH, Jan Buss, von der Cortex AG sowie Prof Dr. Philipp Rostalski vom Fraunhofer IMTE Lübeck. Diskutiert wurde über intelligente Systeme in Forschung und Praxis sowie deren Potenziale, aktuelle Anwendungsfelder und mögliche Hindernisse.
Prof. Reif sah das Thema Digitaler Zwilling in manchen Bereichen durchaus als Gamechanger, anderswo sei das große Potenzial aber noch in der Genese. Ein anderes Problem seien die vielen unterschiedlichen Systeme der Hersteller, die einen reibungslosen Datenaustausch schwierig gestalteten. Zudem würden sich die Anbieter überlegen, welche Daten sie bereit seien zu teilen und welche nicht, um ihr Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Wissenschaft und Wirtschaft stünden sich hier gegenüber.
Prof. Rostalski ging auf das große Potenzial von KI bei der Prozessoptimierung im Krankenhaus ein. Man müsse sich jedoch sicher sein können, dass die Entscheidungen, die durch KI zu einer bestimmten Behandlung getroffen werden, gut seien. Dazu müsse die KI mit den richtigen Daten über den Patienten versorgt werden und da käme dann wieder der Mensch ins Spiel, also Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal. Datenschutz sei wichtig, könne aber auch zum Hindernis werden.
Prof. Beutel pflichtete dem bei. Der Datenschutz sei in manchen Fällen eine Herausforderung. Man benötige genug sinnvolle Daten, um eine KI zu füttern und zufriedenstellende Ergebnisse zu bekommen. Corona habe gezeigt, was mit Daten alles möglich ist. „Wir brauchen nicht noch mehr Regulierung.“
Auch Jan Buss ging auf den Datenschutz ein. Der Patient sei bereit, alles zu geben, um gesund zu werden. Auch seine Daten. Was fehle, sei ein Konsens, wie damit umgegangen werden soll. Man müsse die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als Stärke sehen, schließlich sei darin auch das Recht an den eigenen Daten verankert. Und einen nützlichen Service, beispielsweise die Navigation über Google, mit Daten zu bezahlen, sei doch ein guter Deal, so Buss.
Abschließend ging es um die Frage, wie in Zukunft der Nachwuchs für die Life-Science-Branche angeworben werden soll. Prof. Rostalski sah die Ausbildung sowie die Kooperation mit Firmen als zentralen Punkt. Für Jan Buss war auch Zeit ein ausschlaggebender Faktor. Bewerber hätten heutzutage eine große Auswahl, da müsse man sich als Unternehmen schnell entscheiden. Prof. Reif sah im Homeoffice-Angebot einen großen Vorteil, um die Zusammenarbeit auch mit internationalen Fachkräften einfacher zu gestalten. Allerdings sei die Gefahr dabei, dass Wissen aus Deutschland abfließe. Prof. Beutel verwies darauf, dass interdisziplinäres Arbeiten möglich sein müsse. „Die Life Sciences müssen die Welt retten und sie auf dem Weg dorthin auch noch digitalisieren.“
„Innovation Stage“ mit fünf niedersächsischen Life-Science-Projekten
Der zweite Teil des Life Science Tages 2023 begann mit der „Innovation Stage“, bei dem sich fünf innovative Projekte „made in Niedersachsen“ in kurzen Pitches vorstellten und anschließend für Fragen zur Verfügung standen. Die Moderation übernahm Dr. Antonia Kuhn von der Digitalagentur Niedersachsen. Den Anfang machte Dr. Artjom Avakian von der ELPIS Simulation GmbH aus Hannoversch Münden, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und einem Digitalen Zwilling das individuelle Risiko bei Schlaganfallpatientinnen und -patienten ermitteln kann. Dr. Manuel Nietert von der Universitätsmedizin Göttingen stellte das Projekt „AutoBuSTeD“ vor, bei dem es um die Automatisierung und Standardisierung eines bildbasierten Diagnostikverfahrens für zystische Fibrose durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz geht.
Prof. Dr. Lena Wiese vom Fraunhofer ITEM Hannover präsentierte das Projekt „BIOSYNTH“, das sich mit einem biologisch-synthetischen Massendatenspeicher auf Basis von DNA beschäftigt. Christian Wirsching von der Cinference GmbH Göttingen stellte eine KI zum Designen von therapeutischen Proteinen beispielsweise für die Krebstherapie vor. Und im Projekt „ELISE“, das von Marcel Mast vom PLRI in Vertretung von Prof. Dr. Antje Wulff (Universität Oldenburg) vorgestellt wurde ging es um die Entwicklung von Entscheidungsunterstützungskonzepten für die pädiatrische Intensivmedizin.
Im Anschluss an die inspirierenden Impulse zu zahlreichen komplexen Thematiken endete der Life Science Tag 2023 mit intensivem Networking und anregenden Gesprächen. Begleitet wurde der Netzwerknachmittag durch ein KI-basiertes Speeddating über die Matching-Plattform innomatch, das von Kevin Bruns von startup.niedersachsen moderiert wurde.
(Titelbild: Stefan Kübler)
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