Normalerweise findet der Niedersächsische Life Science Tag mit vielen Gästen vor Ort und zahlreichen Speaker*innen live auf der Bühne statt. In Coronazeiten wurde die Konferenz, wie viele andere auch, auf die virtuelle Bühne ins Internet verlagert. Der Fülle an Expertise und kompetenten Fachleuten aus allen Bereichen der Life Science tat dies aber keinen Abbruch. Auch neu in 2021: Das Event ist Teil der Challenge One Health, die in diesem Frühjahr nicht nur aus dieser Konferenz, sondern auch aus einem Hackathon im März besteht.

Hinter dem One-Health-Gedanken steckt ein ganzheitlicher Gesundheitsansatz unter Berücksichtigung von Humanmedizin, Tiermedizin und Umweltschutz. Für die größtmögliche Gesundheit in allen Bereichen ist es unabdingbar, dass das Wohlbefinden von Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen betrachtet wird. Konkret geht es um die Vermeidung von Zoonosen, also der Virusübertragung vom Tier auf den Menschen, und die Verhinderung von damit einhergehenden Pandemien. Nachhaltige Landwirtschaft und umweltfreundliche Produktion von Gütern sind weitere Aspekte.

Um diesen One-Health-Ansatz zu diskutieren, trafen sich beim Niedersächsischen Life Science Tag zahlreiche namhafte Expert*innen auf der virtuellen Online-Bühne. Der Niedersächsische Life Science Tag ist eine Veranstaltung von BioRegioN. In diesem Jahr ist die Konferenz ein Teil der Challenge One Health, einer Veranstaltung des Innovationszentrums Niedersachsen und seiner Bereiche BioRegioN, Startup.Niedersachsen, EIP Agrar und Innovation und der Digitalagentur Niedersachsen sowie des Medical Parks Hannover. Nach der Begrüßung von Dr. Maike Rochon von BioRegioN sowie den Grußworten von Dr. Sabine Johannsen, Staatssekretärin im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und Dr. Berend Lindner, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, ging es direkt ans Thema.

Mit einer einleitenden Keynote gab Life-Science-Koryphäe Prof. Dr. Albert Osterhaus von der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) inspirierende Impulse für die weitere Diskussion. „Was wir heute erleben, ist nicht neu“, sagte Osterhaus in Bezug auf die aktuelle Coronalage und gab einen historischen Überblick über die Pandemien der vergangenen Jahrhunderte. Der Mensch habe immer schon Kontakt zu Tieren gehabt, deswegen sei der Übergang für Viren so leicht, beispielsweise bei Mumps, Masern und Rotaviren. Die Fledermaus sei dabei nicht der „Bad Guy“. Schweine, Kamele oder Vögel seien ebenfalls Überträger. Durch Globalisierung und weltweites Reisen werde es den Viren heute noch einfacher gemacht.

„Für die Zukunft sind wir nicht vorbereitet!“

Osterhaus bekräftigte One Health als wichtigsten Ansatz für die Bekämpfung von Pandemien. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kommunikation seien unerlässlich. Bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs sei fantastische Arbeit geleistet worden. Er betonte aber auch: „Für die Zukunft sind wir nicht vorbereitet!“

An der anschließenden Diskussion nahmen neben Osterhaus auch Kristine Knipper vom Veterinärdiagnostik- und Umweltanalyseunternehmen Fassisi sowie Prof. Dr. Simone Scheithauer von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) teil. Die Moderation übernahmen abwechselnd Rochon sowie Dr. Yvonne Reinke vom Medical Park Hannover. Zu Beginn antwortete Osterhaus auf die Frage, ob es nicht am einfachsten sei, Tiere als Überträger von Viren zu impfen, beispielsweise Fledermäuse. Man habe darüber nachgedacht und es seien bereits Kamele geimpft worden, so Osterhaus. Bei Fledermäusen sei es aufgrund der zahlreichen Spezies und Populationen aber ungleich schwieriger. „In meinem Leben wird das nicht mehr geschehen.“

Scheithauer sprach über die Bekämpfung von Krankenhauserregern und multiresistenten Keimen. Die Gabe von Antibiotika müsse differenzierter geschehen, denn die Übertragung eines Erregers verursache nicht zwangsläufig eine Infektion. Andererseits helfe ein Antibiotikum nicht nur gegen Influenza, sondern auch gegen die dadurch ausgelöste Pneumonie. Diese indirekten Effekte müssten weiter erforscht und die Kommunikation verbessert werden. Scheithauer setzte ebenfalls auf interdisziplinäre Zusammenarbeit. „Alleine finden wir nie die beste Lösung“.

Knipper sprach sich für eine Ausweitung der Digitalisierung in ihrem Forschungsbereich aus. Eine Patientendatenbank sei wünschenswert, doch es gebe Rechteschwierigkeiten. Bereichsübergreifend werde bei Fassisi bereits gearbeitet, denn trotz der veterinärdiagnostischen Ausrichtung des Unternehmens sei die Hälfte des Teams aktuell mit der Erforschung von Sars-Cov-2-Antikörpern beschäftigt.

SPRIN-D, SORMAS und vokale Biomarker

Unter der Überschrift „Digitale crosssektorale Ansätze“ folgten mehrere Kurzvorträge. Barbara Diehl stellte die Arbeit der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) vor. Jeder könne radikale Ideen aus allen Bereichen einreichen. Prof. Dr. Dr. Eberhard Bodenschatz, Direktor des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, erläuterte seine Forschungen auf dem Gebiet der Aerosolverteilung in Innenräumen sowie die dazugehörige Software zur Ermittlung von Infektionswahrscheinlichkeit. Dominik Ewald stellte seine App „Monitorfish“ vor, die relevante Daten aus Aquakulturen analysiert und so zur Digitalisierung der Fischzucht beträgt.

Dr. Nils Hellrung von der vitagroup AG erläuterte das Programm SORMAS, ein System zur Verbesserung der Prozesse bei der Pandemiebekämpfung, das bald in allen deutschen Gesundheitsämtern verfügbar sein soll. Prof. Dr. Dagmar Krefting, Direktorin des Instituts für Medizinische Informatik der UMG, präsentierte ihr Projekt zur Verbesserung der Vernetzung von Unikliniken zum besseren Austausch von Daten. One Health werde hier bereits angewendet, denn sowohl Umwelt- als auch Lebensmittel-, Seuchen- und viele weitere Daten würden bereits berücksichtigt.

Anne Schnepf von der TiHo erläuterte ihr Projekt zur Nutzung von One-Health-Daten bei der Bekämpfung von Pandemien, beispielsweise aus dem Tierseuchennachrichtensystem. Dirk Simon von Evocal Health gab abschließend einen Einblick in die Erforschung vokaler Biomarker, vorrangig Stimm- und Hustengeräusche, mit denen Lungen-, Herz- und mentale Krankheiten erkannt werden können.

In einer Online-Diskussionsrunde zum Thema „Visionen“ begrüßten die Moderatorinnen Rochon und Reinke Prof. Dr. Stefan Dübel und Prof. Dr. Michael Hust von der TU Braunschweig, Dr. Leander Grode, Geschäftsführer der Vakzine Projekt Management GmbH, Prof. Dr. Ulrich Kalinke vom TWINCORE-Zentrum sowie Dr. Thomas Schirrmann von der Yumab GmbH.

Nächste Pandemie in weniger als zehn Jahren

Dübel erläuterte zu Beginn die Funktionsweise und die Gewinnung von Antikörpern. Er untermauerte seine Forderung nach einem Wirkstoffkatastrophenplan für Pandemiefälle und sprach sich für die vorbeugende Herstellung von Antikörpern und Gegenmitteln aus. Alle Tools für dieses Vorgehen seien bereits vorhanden, so Dübel. „Die nächste Pandemie kommt wahrscheinlich in weniger als zehn Jahren. Das zu ignorieren, ist kriminell!“

Hust sprach sich ebenfalls für entsprechende Krisenplattformen aus. Diese müssten von der Politik langfristig gedacht und dauerhaft besetzt sein. Schirrmann forderte ebenfalls eine Planung mit Weitsicht. Investitionen in Krisenpläne kosteten zwar Geld, generierten aber auf lange Sicht noch viel mehr Geld und das Beste: Sie retteten Leben. Grode lobte Forschung und Entwicklung in Niedersachsen, verwies aber auch auf eine globale Betrachtung bei der Suche nach Partnerschaften, beispielsweise bei den Kapazitäten für die Herstellung von Impfstoff. Kalinke setzte beim Thema Zusammenarbeit auf das Vorbild USA, wo die Kooperation zwischen Universitäten und großen Pharmaunternehmen viel intensiver sei als in Deutschland.

Aktuelle Anwendungsbeispiele rund um One Health wurden von jungen Forscher*innen und Gründer*innen in einem vielseitigen Science Slam präsentiert. Lea Lensky und Victor Büchner stellten das Unternehmen Holy Shit und ihre Entwicklung einer verträglichen und biologisch abbaubaren Mund-Nasen-Maske vor. Maren Schubert erläuterte das Projekt PANDA, mit dem die Medikamentenentwicklung im Pandemiefall noch weiter beschleunigt werden kann, indem Antikörper auf Vorrat entwickelt werden. Dr. Kristina Lachmann gab Einblicke in ihre Forschung zu einem infektionspräventiven Patientenzimmer.

Folge-Event: One-Health-Hackathon vom 12.-14.3.2021

Mit diesen inspirierenden Projekten ging der Niedersächsische Life Science Tag 2021 zu Ende. Die Challenge One Health ist jedoch noch nicht am Ende, denn: Als nächstes großes One-Health-Event folgt der 48stündige Hackathon vom 12.-14.3.2021. An den Projekten aus dem Science Slam kann dabei aktiv mitgeforscht werden. Die Organisatoren hoffen auf viele weitere kreative Ideen an diesem Hackathon-Wochenende, wie Tobias Wedler von Startup.Niedersachsen und Philip Mertes von xHack in ihrem „Call for Solutions“ verdeutlichten. Startups hätten in der Pandemiezeit ihre „Schnellbootfunktion“ bewiesen und das könne auch beim One-Health-Ansatz hilfreich sein, so Wedler. Die Gewinner des One-Health-Hackathon könnten sich über 4500 Euro Preisgeld freuen, so Mertes. Außerdem würden mehrere Gründungsstipendien in Höhe von maximal 48.000 Euro vergeben.

Alle Infos zum One-Health-Hackathon finden Sie auf challengeonehealth.com/hackathon.

 

(Bilder: Screenshots)